Elastizitzät im Extrudersystem (beim RFx000)

Hier geht es ausschliesslich um die Extruder und Kühlung des Filamnts des RF1000. Fragen und Probleme sowie Verbesserungen können hier diskutiert werden
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rf1k_mjh11
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Elastizitzät im Extrudersystem (beim RFx000)

Beitrag von rf1k_mjh11 »

In diesen Thread möchte ich auf die systembedingten Elastizitäten im Fördersystem der RFx000 Drucker eingehen. Ich möchte primär solche Phänomene aufzeigen, die im Normalbetrieb wie eine Feder wirken. Aber nicht nur diese möchte ich aufzeigen, sondern auch weitere Einflüsse, die einer theoretisch exakten Materialförderung entgegenwirken.

Schlupf wird hier nicht behandelt, obwohl es auch die Materialförderung beeinflusst.

Elastische Einflüsse:

Das Extruder System beim RFx000 Drucker ist ein sogenannter Direct-Drive, wo ein Antrieb das Material beinahe direkt in die Schmelzkammer der Düse befördert. Ein ebenso häufig benutztes System ist der Bowden Antrieb, der hier nur gelegentlich angeschnitten wird.
Als Antrieb kommt beim RFx000 ein Schrittmotor zum Einsatz. Einige User haben vielleicht inzwischen auf untersetzte Schrittmotoren umgerüstet, vielleicht sogar auf Bowden, vermutlich noch keiner auf Servoantrieb.

Der Schrittmotor selbst, egal ob untersetzt, oder in einem Bowden-System, weist schon systembedingt eine Elastizität auf. In anderen Worten, unter Last ‚hinkt‘ der Motor immer etwas nach, wie eine Feder, je nach Last unterschiedlich weit. Ist die Last verschwunden, dreht sich der Motor in die vorgesehene Position. Ist einmal die Last zu hoch und der Motor hinkt zu sehr hinterher, ‘verliert‘ der Motor einen Ganzschritt (oder sogar mehrere).

Der Motor ist somit das erste Federelement im Fördersystem.

Auch wird es eine gewisse Elastizität beim Rändelrad und der Andrückrolle geben. Diese wird vermutlich so verschwindend klein sein, dass man sie vernachlässigen könnte (außer bei elastischen Materialien wie TPU oder TPE!). Eine bleibende plastische Verformung gibt es dort auch. Auf diese wird hier nicht eingegangen.

Nach dem Quetschpunkt zwischen Rändelrad und Andrückrolle läuft das Filament großteils unbehelligt bis in die Schmelzkammer des Hot Ends. Der RF1000, in der Originalausstattung, lässt dem Filament freien Lauf für ca. 12mm, bevor es durch das Hot End geführt wird. Bei manchen Druckern ist das Filament schon knapp nach der Quetschstelle bereits geführt. Schon die 12mm beim Original-RF1000 erlauben ein leichtes Nachfedern des Filaments und verursachen deutliche Probleme bei flexiblen Materialien. Wer glaubt, dass Drucker mit längerer Führung deswegen kein Federn aufweisen, täuscht sich. Die Bohrung, von der Schmelzkammer bis zum Einlauf oben, durch die das Filament geführt wird, hat Übermaß, und muss sogar Übermaß haben um problemlos zu funktionieren. Da zwischen Filament und Bohrung etwas Spiel vorhanden ist, weicht das Filament leicht bogenförmig aus (von der Restspannung der Spule). Unter Last ändert sich die Form des Bogens und wirkt dann wie eine Feder. Bei den meisten steifen Filamenten wirkt sich das nicht sehr stark aus, aber 1-2 Hundertstel könnten es schon sein. Besonders schlimm ist es bei weichen Filamenten. Hier schlängelt sich das Filament durch die Bohrung, wie ein Slalomfahrer, einmal rechts an die Bohrungswand, dann links, hin und her. Dazu kommt bei den weichen Filamenten eine regelrechte elastische Aufstauchung dazu, wo das Filament kürzer, dafür dicker wird. Da kommen Werte beinahe im Millimeterbereich dazu.

Auch die steiferen Filamente werden sich elastisch stauchen, doch die Werte sind vermutlich verschwindend klein und werden im µ-Bereich liegen.

Die bisher genannten Elastizitäten kommen bei allen üblichen Antriebsarten vor, bei Bowden spielt der zuletzt geschriebene Absatz eine besonders große Rolle.

Die RFx000-Drucker haben eine zusätzliche, systembedingte Elastizität durch die Verwendung der Wägezellen, die sich funktionsbedingt elastisch unter Last verformen. Das Thema der Elastizität der DMS wurde ausgiebig in diesem Thread behandelt. Dort hatte ich auch einen ordentlichen Gedankenfehler bezüglich der Durchbiegung der DMS. :dash: Diese stellte sich doch als ‘S‘-förmig heraus. Der Thread zeigt auch schön die meisten hier besprochenen Abschnitte (z.B. in diesem Beitrag).

Bis auf die Verformung der Wägezellen, die sich relativ linear mit der Last verhält (so wie eine Wendelfeder), sind die anderen genannten Elastizitäten nicht unbedingt linear, sondern weisen eher eine progressive Federkennlinie auf.

Nicht-Elastische Einflüsse:

Einen weiteren Effekt möchte ich nennen. Dabei handelt es sich nicht um etwas, dass wie eine Feder elastisch wirkt, sondern einfach verzögernd.

Es handelt sich um die bleibende plastische Aufstauchung in der Übergangszone. Hier farblich hervorgehoben im Schnittbild:
TransitionZoneOverview.jpg
Die Übergangszone befindet sich immer in der Nähe des Heat Breaks und fängt meist dort oder kurz davor an. (Beim V0, V1 und V2 Hot End befindet sich der Heat Break beim Übergang vom Teflonröhrchen zum beheizten Messingteil, unten. Von dort wandert es aber langsam immer weiter nach oben, da auch das Hot End langsam immer wärmer wird und diese Wärme immer weiter nach oben wandert.)
V2_Crosssection_TransZone.jpg
Ganz-Metall Hot Ends wie das E3D oder mein Pico, können durch ihre Konstruktion und der aktiven Kühlung die Übergangszone recht gut an einer Stelle ‘festnageln‘ und ein Wandern unterbinden.

In der Übergangszone beginnt das Material zu erweichen. Durch den Druck vom Fördermotor und den Gegendruck des Extrusionsprozesses wird das weiche Filament aufgestaucht, bis es die etwas größere Bohrung des Hot Ends ausfüllt und wie ein Pfropfen wirkt. Der Pfropfen sorgt dafür, dass das flüssige Material in der Schmelzkammer nicht nach oben entweicht.

Das Problem dabei: Das Entstehen des Pfropfens ist verbunden mit einem Verlust an Extrusionslänge. Um das Filament aufzustauchen geht etwas an Länge verloren, dass für die Extrusion gedacht war.
Flächenunterschied
Bei 1.75-er Filament ist die Bohrung im Hot End meist 2mm. Das macht einen Flächenunterschied von 30% aus. Die größere Fläche benötigt um 30% mehr Förderlänge.
Im Normalfall macht dieser Verlust an Länge nichts, denn am Druckanfang, mit der Start-Made und einem eventuellen Brim oder Schürze, wurde genug Material gefördert, dass sich das System einpendeln konnte und der Pfropfen in Position und Länge gleich bleiben wird. Würde von dem Punkt an kontinuierlich gefördert (gedruckt werden), wäre alles in Butter. Leider ändert sich die Druckgeschwindigkeit aus mehreren Gründen, hervorgerufen durch Ecken, Retracts, Layerzeit und anderen Faktoren.

Ändert sich die Druckgeschwindigkeit, wandert der aufgestauchte Bereich einmal tiefer in den Schmelzbereich, einmal weniger tief. Ebenso wird der gestauchte Bereich länger oder kürzer, je nach Fördergeschwindigkeit. Wird schneller gefördert, also schneller gedruckt und/oder mit größerer Düse und/oder mit breiterer Raupenbreite gedruckt, wandert der aufgestauchte Bereich tiefer in die Schmelzkammer hinein und wird vermutlich auch etwas kürzer. Im umgekehrten Fall wird der aufgestauchte Bereich länger und wandert weiter von der Schmelzkammer weg. Bei ganz-Metall Hot Ends kann der Bereich nicht über dem Heat Break hoch wandern (beim eigentlichen Fördern), bei Hot Ends wie das V0, V1 oder V2 kann der Bereich nach längerer Druckzeit allmählich höher wandern.

Und wenn der aufgestauchte Bereich wandert, hat das hat auch jedes Mal einen geringfügigen Einfluss auf den Extrusionswert, immer etwas verzögert in Bezug auf das auslösende Ereignis. (Das langsame, allmähliche Hochwandern wie beim V0, V1 oder V2, kann sich nicht merklich auswirken, das Tempo ist zu gering.) Ein rascher Geschwindigkeitswechsel, wie z.B. zwischen einem langsam gedruckten äußeren Perimeter und schnell gedrucktem Infill, könnte schon einen Einfluss haben. Durch den zeitlichen und dadurch räumlichen Versatz, wird die Auswirkung kaum mehr rückverfolgbar sein.

Retracts bringen den regelmäßigen Materialfluss noch weiter ins Wanken, da der Pfropfen im Übergangsbereich noch weiter aus der ‘eingependelten‘ Position bewegt wird. Wenn ein Retract stattfindet, wird der Pfropfen meist bis in die kalte Zone befördert. Der Pfopfen befindet sich dann an einer Stelle, die im Normalbetrieb vermutlich nie erreicht werden würde. Dort kommt der Pfropfen mit der deutlich kühleren Außenwand in Kontakt und wird stärker abgekühlt. Wird der Retract rückgängig gemacht, kommt der Pfropfen zwar wieder in die ursprüngliche Position, hat aber vielleicht nicht mehr die Temperatur, die es vorher hatte. Dadurch wird die neuerliche (oder weitergehende) Aufstauchung verzögert stattfinden. Auch das hat wieder einen Einfluss auf den theoretisch regelmäßigen Materialfluss.

Zusammenfassung:
Beim Drucken treten schwer berechenbare lineare und nicht-lineare Federungseffekte, sowie noch schwerer vorhersehbare Effekte durch den Aufstauchbereich auf, die sich auf das Druckergebnis auswirken können. Diese Effekte zu beseitigen oder zu minimieren ist nicht trivial.
Klipper, eine Firmware, versucht dies mit einer Funktion, die sich ‘Pressure Advance‘ nennt, firmware-seitig zu korrigieren. Klipper zielt vor allem auf die zeitverzögerten Effekte der elastischen Elemente ab.
Die meisten anderen versuchen das durch diverse Einstellungen beim Slicen zu minimieren.
Ich wünsche allen Lösungen viel Glück dabei.

Noch gibt es keine Lösung für die zeitverzögerten Effekte durch das Wandern des Aufstauchbereichs.

Auch hat sich bisher noch keiner darüber aufgeregt. (So wie auch nicht über den Rechenfehler der Slicer an allen Ecken.)

mjh11
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RF1000 (seit 2014) mit:
  Pico Hot End (mit eigenem Bauteil- und Hot End Lüfter)
  Ceran Bett
  FW RF.01.47 (von Conrad, modif.)

Die Natur kontert immer sofort mit einem besseren Idioten.
mhier
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Re: Elastizitzät im Extrudersystem (beim RFx000)

Beitrag von mhier »

Schöne Zusammenfassung dessen, was ich vereinfachend als "Filamentstauchung" bezeichnet habe. Diese Betitelung ist m.E. weiterhin korrekt. Das E-Modul ist halt temperaturabhängig, also findet die stärkste Stauchung dort statt, wo es am wärmsten ist - du hast es aber schön anschaulich erklärt ohne mathematischen Firlefanz, danke dafür! Wichtig ist allerdings zu verstehen, dass wohl eher kein Material hochwandert entgegen der Extrusionsrichtung. Das "mittelwarme", gerade noch feste Material wird unter dem Druck dicker, bis es die Wände der Bohrung erreicht und den Spalt abdichtet, deshalb hat flüssiges Material keine Chance, nach oben auszuweichen. "fest" und "flüssig" sind hier allerdings im stetigen Übergang so dass auch diese Beschreibung wieder nicht ganz korrekt ist. Die Wahrheit liegt dazwischen, es findet ein gleichmäßiger Übergang in allen Aspekten statt. Ohne diesen Effekt wäre das Hotend nicht dicht und wir könnten gar nicht drucken.

Ohne polemisch werden zu wollen: Die Frage ist, was bringt uns das. Wir müssen uns das Leben ja nicht unnötig schwer machen. Ich bin Physiker, und Physiker lieben Näherungen und Vereinfachungen. Erstens ist es uns egal, woher eine Elastizität kommt, solange wir sie nicht ursächlich beseitigen (durch Umbau des Druckers) sondern nur kompensieren wollen. Zweitens ist quasi jede physikalische Funktion durch eine lineare Funktion annäherbar, die Frage ist immer nur welchen Gültigkeitsbereich diese Näherung hat. Das umgekehrte gilt übrigens auch, jeder vermeintlich lineare Effekt hat Grenzen, ab dem Nichtlinearitäten auftreten. Jedes lineare physikalische Gesetz ist eine Näherung. Wie lange so eine Näherung "gültig" (so nennt man das) ist, hängt vom Einsatzzweck ab. Für uns spielen ein paar Prozent in der Regel keine Rolle, ich sag mal so ab 10% wird es relevant. Wir können uns also +-10% Abweichung unserer linearen Näherung von der realen nichtlinearen Kurve erlauben, ohne dass unser Druckergebnis sichtbar leidet. Die genaue Prozent-Zahl ist aber am Ende irrelevant, denn wir kennen ja die

Pressure Advance kompensiert nur lineare Elasitzitäten, das stimmt. Da Pressure Advance aber hervorragende Ergebnisse liefern kann, genügt diese lineare Näherung wohl, das ist erstmal eine Beobachtung (wenn eine Theorie dem widerspricht, ist sie wohl falsch bzw. für den Fall unzutreffend). Demnach ist Pressure Advance, auch wenn es anscheinend ein rotes Tuch für dich ist, sehr wohl eine passende Lösung für die von dir angerissenen Probleme, und zwar genau für die Probleme, die man nicht durch Slicer-Einstellungen anderweitig in Griff bekommen kann oder will. Klipper hat Pressure Advance übrigens nicht erfunden, das gibt es in Marlin und Repetier ebenfalls (und zwar länger, als Klipper existiert). Es ist eigentlich recht üblich, das zu benutzen, nur die alte Repetier-basierte RFx000-Firmware hat leider nur eine kaputte Implementation. Deshalb ist Klipper wohl die einzig realistische Option für RFx000-Nutzer, die Pressure Advance nutzen möchten. Ich kann nur sagen: es lohnt sich, zumindest wenn man halbwegs zügig drucken möchte. Pressure Advance hat den großen Vorteil, dass es sich systematisch einstellen lässt, durch eine Messung statt durch herumprobieren. Dadurch habe ich einen Aspekt der Einstellproblematik gelöst und erhalte mehr Spielraum für die anderen.
Gruß, Martin

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